Kreuzschmerzen – Die Plage unserer Zeit?

Interview mit dem Schmerztherapeuten und Orthopäden Dr. Thomas Bambach, Neumarkt

Rückenschmerzen

Aktiv & Gesund: Fast jeder von uns kennt Rückenschmerzen, den einen überfällt plötzlich der Hexenschuss, der andere quält sich jahrelang mit allmählich zunehmenden Schmerzen im Beruf und in der Freizeit und wieder andere können keine Nacht mehr schlafen. Auch Politik und Versicherungen werden nicht müde darauf hinzuweisen, welch enormer Schaden der Volkswirtschaft durch chronischen oder akuten Rückenschmerz entsteht. Ist denn kein Kraut gegen dieses Volksleiden gewachsen?
Dr. Bambach: Für den einzelnen Patienten ist eine Erkrankung des Rückens eine stets schmerzhafte und oft sehr einschneidende Erfahrung, die bis hin zur Gefährdung des Arbeitsplatzes, aber auch bis hin zum Auseinanderbrechen der Familie führen kann. Nicht umsonst spricht der Volksmund davon, jemandem sei „das Rückgrat gebrochen worden“ oder jemand „habe kein Rückgrat.“ Die Statistiken sagen, dass fast 70% der Bevölkerung in Deutschland mindestens einmal im Jahr unter Rückenschmerzen leiden! Durch Fortschritte in der Wissenschaft ist es der Schmerztherapie aber mittlerweile möglich, in einem großen Teil der Fälle ziemlich präzise einzugrenzen, wo die Hauptursache der beklagten Schmerzen sitzt.

Oft hat man das Gefühl, dass Patienten und auch Ärzte ziemlich hilflos vor dem Problem Kreuzschmerz stehen, man spricht von „unspezifischen Kreuzschmerzen“ und empfiehlt erstmal abzuwarten, sich soweit noch möglich zu bewegen und einfache Schmerzmittel einzunehmen. Aber oft vergehen die Beschwerden dann eben doch nicht, sondern werden immer schlimmer…Und dann heißt es, die Krankheit sei schon so chronisch, dass man auf Kur muss oder gar eine mehrwöchige Schmerztherapie im Krankenhaus absolvieren soll, wenn es nicht sogar unter das Messer geht. Kann man da nicht frühzeitig etwas gezielter behandeln?
Wenn eine klare anatomische Struktur als Hauptverursacher der Schmerzen identifiziert ist, können auch gezielte Behandlungsmaßnahmen eingeleitet werden! Andererseits müssen aber auch ganz andere Faktoren mit berücksichtigt werden, die das Leiden verstärken und aufrechterhalten können. Am Anfang einer schmerztherapeutischen Behandlung steht daher immer das ausführliche Gespräch mit dem Patienten. Nicht nur die Krankheitsvorgeschichte ist hier Gegenstand des Erstgesprächs, sondern auch die allgemeinen Lebensumstände. Es darf nicht vergessen werden, dass beispielsweise Stress, Erschöpfung, Sorgen und Angst das Schmerzerleben erheblich beeinflussen! Es schließt sich eine eingehende körperliche Untersuchung an, die sich nicht beschränkt auf die schmerzenden Anteile der Wirbelsäule, sondern den gesamten Haltungs- und Bewegungsapparat umfasst. Dann folgt  eine so genannte klinisch-neurologische Untersuchung, bei der die Gefühlsqualitäten geprüft werden, die Kraft, die Reflexe, die Koordination. Nicht zuletzt gehört zur Untersuchung auch eine Beurteilung der Stimmungslage, ob etwa eine niedergeschlagene Stimmung, vielleicht sogar eine Depression, Trauer oder Angst vorliegen.

Das ist ja ein ganz schöner Aufwand – muss das denn sein? Und welche Rückschlüsse kann die Medizin aus den vielen Angaben ziehen?
Alleine schon aus den Angaben zur Vorgeschichte und der eingehenden klinischen Untersuchung lassen sich wichtige Informationen gewinnen: Der Patient mit nächtlichen Rückenschmerzen könnte unter einem entzündlichen Geschehen leiden, gerade bei jungen Männern wird oft die Diagnose einer sogenannten Spondylitis ankylosans erst nach Jahren richtig gestellt! Eine Schmerzverstärkung beim Husten oder Niesen, vielleicht noch mit Ausstrahlung in die Extremitäten, deutet auf eine Bandscheibenvorwölbung hin, welche bei entsprechender Druckerhöhung zu einer Reizung einer Nervenwurzel beiträgt. Liegen dann noch Gefühlsstörungen, Reflexdifferenzen oder Abschwächung einzelner Muskeln vor, kann schon bei der klinischen Untersuchung sehr präzise auf die geschädigten Segmente der Wirbelsäule rückgeschlossen werden. In der großen Mehrzahl der Fälle erlaubt schon dieses Vorgehen eine relativ präzise Eingrenzung auf bestimmte Verdachtsdiagnosen.

Dann scheint es doch recht einfach, genau herauszufinden, was den Schmerz verursacht, oder?
Allerdings ist die Beurteilung insbesondere beim chronischen Rückenschmerz deswegen so schwierig, weil der Aufbau der Wirbelsäule ausgesprochen kompliziert ist: Betrachten wir die Wirbelsäule als Ganzes, so zeigt sich eine Gliederkette, gebildet von einzelnen Bewegungssegmenten. Im Mittelpunkt eines Bewegungssegments steht die Bandscheibe, ein kompliziert aufgebautes Organ, welches einen gallertigen Kern besitzt, der von einem festen Faserring umschlossen ist und schon in jungen Jahren beginnende Austrocknungserscheinungen zeigen kann. Jeder Wirbel ist mit seinem Nachbarwirbel durch Wirbelgelenke verbunden. Auch die Wirbelgelenke unterliegen Abnützungserscheinungen, sie können wie jedes andere Gelenk Verschleiß und Entzündungserscheinungen entwickeln. Die Wirbelsäule wird durch große Muskelgruppen stabilisiert und aufrecht gehalten, Bandverbindungen spannen sich zwischen Wirbeln und Beckenknochen aus, hier können Muskelverspannungen und Bänderreizungen auftreten. Bei dem komplexen Aufbau der Wirbelsäule sind Abnützungserscheinungen schon bei jungen Menschen eher die Regel und nicht die Ausnahme! Hinzu kommen die vielen Nervenfasern, die teils in der Wirbelsäule verlaufen, aber auch die einzelnen Strukturen versorgen und leicht gereizt werden können.

Die Schichtaufnahmen im Kernspin- oder Computertomographen erlauben einen guten Blick in das Körperinnere – das macht es doch sicher leicht herauszufinden, was Ihren Patienten genau fehlt?
Hier ist es für Arzt und Patient gleichermaßen wichtig zu bedenken, dass die in den Schichtaufnahmen sehr präzise nachweisbaren Verschleißerscheinungen keineswegs einhergehen müssen mit entsprechenden Beschwerden! Teilweise schwer zerstörte Bandscheiben müssen keine Schmerzen verursachen, andererseits können gerade beginnende Abnützungen massive Beschwerden machen.

Das ist verwirrend – das heißt ja, dass die Bilder gar nicht zielführend sind, sondern nur Veränderungen beschreiben, die sich ähnlich wie graue Haare im Laufe des Lebens eingestellt haben, ohne dass sie einen Krankheitswert haben müssen?
Ganz genau, um dieser Problematik gerecht zu werden, ist es oft erforderlich, neben der oben dargestellten gründlichen Erhebung der Vorgeschichte und Lebensumstände und neben der eingehenden körperlichen Untersuchung sowie der Bildgebung eine so genannte Stufendiagnostik durchzuführen: Wir haben die verschiedenen Strukturen erwähnt, die an der Wirbelsäule schmerzhaft sein können, unter anderem die Bandscheibe selber, dann die kleinen Wirbelgelenke, darüber hinaus die so genannten Iliosakralgelenke zwischen Beckenring und Kreuzbein, die Ischiasnervenwurzeln sowie eventuell Bänder des Beckenrings und Muskeln. Hier ist es oft schwierig, die nahe beieinander liegenden Strukturen und die von ihnen ausgehenden oft sehr ähnlichen Beschwerden voneinander zu unterscheiden. Hier versuche ich für meine Schmerzpatienten möglichst rasch eine klare Abgrenzung der Schmerzursache zu finden. Im Einzelnen kann man hier z.B. durch eine präzise Platzierung einer kleinen Menge eines örtlichen Betäubungsmittels unter Röntgenkontrolle  an die Wirbelgelenke die Schmerzleitung für die Wirkungsdauer des Medikaments unterbrechen. Tritt eine solche Schmerzlinderung im Gefolge der Injektion auf, so kann davon ausgegangen werden, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der größte Teil der Beschwerden von dieser Struktur, nämlich in diesem Fall dem Wirbelgelenk, ausgeht. Ist die Diagnose dahingehend gesichert, gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten bzw. Behandlungsschritte, beginnend mit der Injektion entzündungsdämpfender Substanzen an den festgestellten Ursprungsort der Schmerzen. Kommt es trotzdem zu immer wieder auftretenden Beschwerden, bietet sich eine so genannte Radiofrequenzdenervierung an: Dabei wird eine feine Sonde, wiederum unter sorgfältiger Durchleuchtungskontrolle und schmerzfrei unter örtlicher Betäubung,  an die Schmerznerven geführt. Die Spitze dieser Sonde lässt sich elektrisch erhitzen, durch die Wärmeeinwirkung werden die schmerzleitenden Nervenfasern ausgeschaltet, so dass oft für Jahre eine deutliche Schmerzlinderung erzielt werden kann. Der nächste Schritt wären dann Injektionen um die einzelnen Nervenwurzeln herum, vor allen Dingen dann natürlich, wenn sich bei der klinischen Untersuchung Zeichen einer Nervenwurzelreizung gefunden haben. Sollte sich weiterhin keine Klarheit über das Beschwerdebild ergeben, bleibt dann die Diskographie, also die Kontrastdarstellung der Bandscheibe selber verbunden mit einer leichten Druckerhöhung durch Injektion eines Kontrastmittels unter Röntgenkontrolle. Wenn die Bandscheibe selber einmal als Schmerzquelle identifiziert ist, gibt es in der schmerztherapeutischen Praxis verschiedene Möglichkeiten, ohne Operation die Beschwerden zu lindern. Bei kleineren Vorwölbungen kann eine so genannte Nukleoplastie erfolgen. Hier wird in Lokalanästhesie eine feine Sonde in die Bandscheibe eingeführt, die ebenfalls elektrisch beheizbar ist. Durch die Wärmeeinwirkung im Inneren der Bandscheibe wird dabei der Druck vermindert, es kann gelingen, kleine Risse im Faserring gewissermaßen zu verschweißen. Neuere Therapieansätze sehen die Injektion von Wachstumsfaktoren aus dem eigenen Blut des Patienten in die Bandscheibe vor, wenn es sich um ein frühes Stadium des Verschleißes handelt.

Das klingt so, als ob mit den modernen technischen Möglichkeiten der Schmerztherapie und Orthopädie rasch Hilfe für die Kreuzschmerzpatienten geleistet werden kann?
Nicht vergessen werden darf über all den technischen Möglichkeiten der Schmerztherapie, dass die Behandlung von chronischen Rückenschmerzen auf mehreren Säulen steht: Zum einen erlaubt natürlich die Stufendiagnostik bei der Mehrzahl der Fälle eine klare diagnostische Zuordnung und dann gezielte Therapie. Begleitend steht immer die Physiotherapie im Vordergrund, insbesondere das Kraft- und Ausdauertraining, gegebenenfalls manuelle Therapie, auch die Behandlung mit transkutaner elektrischer Nervenstimulation, ein Verfahren, welches der Patient dann auch selbständig zu Hause weiterführen kann. Nach Abklingen der akuten Schmerzen ist die Hinführung des Patienten zu regelmäßigem Ausdauersport wichtig, neben dem Training an Geräten kann z.B. Nordic Walking, Schwimmen, Radfahren und die seit Tausenden von Jahren bewährte chinesische Gymnastik wie Qigong und Taijiquan zum Einsatz kommen. Bei Hinweisen auf entsprechende seelische Faktoren wie Angst, Stress, Depression und Trauer sollten wir uns nicht scheuen, auch den Psychotherapeuten in die Behandlung einzubinden. Zur medikamentösen Behandlung werden meist zunächst entzündungsdämpfende Schmerzmittel eingesetzt. Leider findet hierbei zu selten Berücksichtigung, dass es sich beim Rückenschmerz oft auch um einen Nervenschmerz handelt. Hier gibt es verschiedene Substanzen, die je nach Beschwerdebild und Begleiterkrankung ausgewählt werden können, beispielsweise gibt es Medikamente gegen die Nervenschmerzkomponente, welche mehr angstlösend sind, andere wirken bei niedergeschlagener Stimmung aufhellend.

Wie sieht nun die Erfahrung mit der oben dargestellten Stufendiagnostik und den entsprechenden Behandlungsmaßnahmen aus?
Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen decken sich in etwa mit meinen Erfahrungen aus der langjährigen Praxis, dass nämlich etwa gut ein Drittel der Rückenschmerzen auf Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke, ein Drittel auf Abnutzungen der Bandscheibe selber und ungefähr ein Fünftel auf Erkrankungen der Iliosacralgelenke zurückgeführt werden kann. Selbst bei ausgesprochenen Problemfällen wie nach fehlgeschlagenen Operationen an der Wirbelsäule können die Techniken der minimal invasiven Schmerzdiagnostik und Schmerztherapie eingesetzt werden und Beschwerden im Rahmen eines ganzheitlichen Behandlungsansatzes oft doch noch lindern.

Und welchen Ratschlag können Sie unseren Lesern mitgeben, damit sie erst gar keine Kreuzschmerzen bekommen?
Aus meiner Sicht ist es ganz wichtig, sich so viel wie möglich zu bewegen – Sport und Bewegung kräftigen die Muskulatur, die Bewegung durchsaftet die Bandscheiben und hält ihren Stoffwechsel fit, außerdem führt insbesondere Ausdauersport zur Freisetzung von Botenstoffen im Nervensystem, die glücklich machen und entspannen. Hier kann im Alltag ganz viel verbessert werden – Treppe statt Fahrstuhl, Fahrrad statt Bus, natürlich dann Sport im eigentlichen Sinne. Außerdem halte ich es für wichtig, immer auf ausreichend Entspannung zu achten und sein persönliches kleines Glück zu pflegen – Stress, Anspannung und Sorgen können gewaltig zum Schmerz beitragen! Achtsamkeit, Meditation, aber auch ein guter Freundeskreis beugen vor, ebenso wie Freude an der Arbeit! Und noch eine große Bitte – denken Sie daran, dass es völlig normal ist, Abnützungen in den Bildern der modernen Untersuchungsverfahren zu sehen – dies heißt nicht, dass die Wirbelsäule „kaputt“ ist – Flugrost am Auto und ein paar graue Haare im Alter sind ja auch ganz normal! Wir haben ja vorhin darüber gesprochen, dass Schmerzen und das, was man im Bild sieht, keineswegs miteinander zusammenhängen müssen! Hier muss man erst sehr sorgfältig, notfalls mit den Mitteln der invasiven Schmerztherapie, untersuchen, ob das Eine mit dem Anderen zu tun hat! Solange lassen Sie sich bitte nicht ängstigen, denn Angst wiederum ist ein Faktor, der Schmerzen schlimmer macht. Wir dürfen darauf vertrauen, dass die Natur uns mit einer kräftigen und widerstandsfähigen Wirbelsäule ausgestattet hat, die wir eher mehr als weniger belasten sollten, damit sie tragfähig bis ins hohe Alter bleibt!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Dr. Thomas Bambach ist Facharzt für Orthopädie, hat die Weiterbildung spezielle Schmerztherapie absolviert, ausserdem die Zusatzbezeichnungen Sportmedizin und physikalische Therapie erworben. Er hat die Weiterbildung psychosomatische Grundversorgung und die Ausbildung zum Hypnosetherapeuten sowie die Ausbildung in Akupunktur bis zum A-Diplom nebenberuflich absolviert. Nach langjähriger Tätigkeit an der Klinik, zuletzt als Oberarzt, war er 23 Jahre lang als Kassenarzt niedergelassen, seit 2 Jahren nun ist er in privatärztlicher schmerztherapeutischer Praxis in Neumarkt tätig. Herr Dr. Bambach ist Mitglied verschiedener Fachgesellschaften, unter anderem der internationalen Spine Intervention Society, der Gesellschaft für Interventionen an der Wirbelsäule und der Deutschen Gesellschaft zum Studium des Schmerzes. www.schmerztherapie-bambach.de

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