Skikurs für Blinde und Sehgeschädigte

Als ich das erste Mal von einem Skikurs für Blinde hörte, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen wie das funktionieren sollte. Aber ich war neugierig geworden und machte mich auf die Reise nach Mitterdorf.

Anita (26) & Guide Sonya

Der 3 – Tages – Skikurs für Blinde und schwer sehgeschädigte Sportler fand im Skizentrum Mitterdorf im Bayerischen Wald statt – gut eineinhalb Stunden Fahrt von Regensburg. Übernachtet wurde im Gasthof Mayerhofer in Hinterschmiding. Hier konnte ich am Freitag abend die zehn Teilnehmer und ihre Skilehrer beim gemeinsamen Abendessen schon mal kennenlernen. Sie hatten bereits ihren ersten Tag auf der Piste hinter sich. Es ist ein bunter Haufen, der sich hier am „Gletscher des Bayerischen Waldes“ nahe der tschechischen Grenze zusammengefunden hat – so wird das Familienskigebiet rund um den Almberg (1139 m) wegen seiner sicheren Schneeverhältnisse genannt.

„Beim Skifahren fühle ich mich ganz frei“

Anfänger und Fortgeschrittene, Männer, Frauen und Kinder im Alter von von 5 – 55 Jahren, aus Regensburg, München, dem badenwürttembergischen Biberach oder aus Dinslaken in Nordrhein-Westfalen. Für die einen ist es ihr erstes Mal auf Skiern, die anderen sind schon zum dritten oder vierten Mal dabei. So wie die vollblinde 48-Jährige Manuela aus München. Sie lernte mit 16 Jahren Skifahren, hat dann lange pausiert und erst vor sieben Jahren wieder angefangen. Die Mutter von 3 Töchtern ist sportlich sehr aktiv und betreibt regelmäßig Langlauf, Leichtathletik und Tandemfahren. „Beim Skifahren fühle ich mich ganz frei.“ Das ist ein Satz, den ich in diesen Tagen öfter höre. Was für Sehende völlig normal ist, nämlich sich ohne Begleitung oder Körperkontakt zu bewegen oder gar Sport zu treiben, ist für Sehgeschädigte nicht selbstverständlich. „Man kriegt oft nicht die Chance etwas auszuprobieren“ meint Manuela.

Am nächsten Tag geht es auch für mich auf die Piste. Klare Luft und strahlender Sonnenschein begleiten mich. Nach 30 Jahren das erste Mal wieder auf Skiern, rutsche ich vorsichtig zum Schlepplift. Jetzt bloß den Bügel richtig erwischen und um Himmels Willen nicht mitten am Hang aussteigen! Wie machen das nur die Blinden, geht es mir durch den Kopf… und bewundere schon jetzt ihren Mut, sich dieses Abenteuer zuzutrauen!

 

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Manuela (48) & Guide Eva
„Geht, geht… und Hopp!“

Jeder Teilnehmer hat seinen persönlichen Skilehrer, den Guide. Am Hang entdecke ich Daniel und seinen Schützling Nathan. Daniel voraus, mit Headset und Lautsprecher am Rücken, zwei bis drei Meter hinter ihm der achtjährige Nathan. Er macht zum zweiten Mal einen Skikurs mit. „Geht, Geht… und Hopp. Geht, geht.. und Hopp“. Ständig gibt Daniel diese Kommandos und muss dabei auch immer kontrollieren, ob die Piste frei ist. „Geht“ bedeutet „gerade weiterfahren“ und bei „Hopp“ kommt eine Kurve. Die erste Kurve wird beim Start festgelegt und dann geht es los! Das dritte Kommando ist „Halt“. Es erfordert von den Guides enorme Konzentration und ist extrem anstrengend immer alles unter Kontrolle zu haben und ständig sprechen zu müssen. „Besonders bei kaltem, trockenem Wetter leidet die Stimme darunter,“ weiß Guide Sonya, die seit sieben Jahren ehrenamtlich als Blindenskilehrerin dabei ist. „Aber die Freude der Blinden und Sehgeschädigten mitzuerleben und die tolle Gemeinschaft, die hier entsteht, gleicht das alles aus!“

 

Anita (26) & Guide Sonya
Anita (26) & Guide Sonya

 

Sich schnell und frei bewegen

Für Francis, mit 55 Jahren die älteste Teilnehmerin, ist es die Mischung aus Schnelligkeit und Bewegung, die sie so an dieser Sportart begeistert. Sie kann nur Hell-Dunkel sehen. Auch sie hat zwar schon als Kind Skifahren gelernt, begann aber dann vor zwei Jahren erst wieder damit. Anfangs noch ängstlich ist sie jetzt (zu Recht!) stolz „dass ich mich das traue!“ Anita (26) ist mit ihrer Schwester Dorothe (15) hier – bereits zum dritten Mal. Anita hat noch 2% Sehfähigkeit und sieht nur wie durch einen Tunnel. Ihre Schwester hat noch 5% Sehkraft. „Zu sehen, was mein Körper kann und die Schnelligkeit zu erleben“ ist was beide am Skifahren fasziniert. Und auch hier wieder das Gefühl „frei zu sein!“.
Als besonderes Talent wird mir dann noch der jüngste Teilnehmer vorgestellt: Noah, demnächst 6 Jahre alt, noch 10% Sehfähigkeit. Er ist zum ersten Mal auf Skiern und fuhr schon am ersten Tag ohne Stöcke den Berg hinunter. Er wollte unbedingt wie in der Kinderserie „Meine Freundin Conni“ Skifahren lernen – und sein Wunsch ging in Erfüllung!

 

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Jonas & Guide Sarah (linkes Bild) ; Nathan, 8 Jahre (rechtes Bild)

 

„Ist Nutella auf meinem Ei?“

Alle genießen das verlängerte Wochenende. Die Stimmung ist prächtig, ob beim Abendessen oder dem gemeinsamen Frühstück. Nur bei genauem Beobachten oder Hinhören merkt man, dass hier auch Blinde und Sehgeschädigte dabei sind: „Ist Nutella auf meinem Ei?“ – „Ja, ein bisschen.“ – „Dann probier ich mal, wie das schmeckt“.

Einen besonderen Eindruck hat bei mir der 20-Jährige Lars hinterlassen. Er ist nicht nur blind, sondern auch gehbehindert und hat erst mit 7 Jahren laufen gelernt. Und jetzt steht er zum ersten Mal auf Ski und spürt das Gefühl der Freiheit! „Mama, ich bin sooo glücklich!“ Dieser Satz hat sich bei mir eingebrannt und lässt mich ein wenig verstehen, was den Organisator Rolf Kroseberg und seine Guides immer wieder gerne auf die Piste treibt.

 

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Nathan (8) und sein Guide Daniel
Begleitläufer für Blinde

Dass Skikurse wie diese überhaupt möglich sind, ist Rolf Kroseberg zu verdanken. Der 3. Abteilungsleiter des TSV Kareth-Lappersdorf ließ sich in Österreich zum Begleitläufer für blinde und sehbehinderte Alpin-Skifahrer ausbilden und engagiert sich seit Jahren, um den Blindenskilauf in Deutschland zu etablieren. Seit über zehn Jahren können blinde Skifahrer an Kursen teilnehmen und bekommen einen kostenlosen Guide gestellt. Wer sich als Blindenskilehrer ausbilden lassen möchte, kann sich unter www.tsv-karethlappersdorf.de informieren. Oder direkt bei Rolf Kroseberg, Tel: 0172-6715675 oder 0941–83081275, Email: tsv.kala@web.de

 

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Text & Fotos: Sylvia Schmidt

Gruppenbild zum Abschluss mit Rolf Kroseberg (vorne Mitte)

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