Es begann bereits in den 1970er Jahren. Der US-amerikanische Psychologe und Biophysiker Dr. Peter Levine forschte über Biologie des Traumas, weil ihn die Frage nicht losließ, warum wild lebende Tiere, die sehr häufig in lebensbedrohliche Situationen geraten, im Gegensatz zum Menschen nicht traumatisiert werden.
Peter Levine stellte fest (Zitat): „Ein Trauma ist im Nervensystem gebunden. Es ist somit eine biologisch unvollständige Antwort des Körpers auf eine lebensbedrohlich erfahrene Situation. Das Nervensystem hat dadurch seine volle Flexibilität verloren. Wir müssen ihm deshalb helfen, wieder zu seiner ganzen Spannbreite und Kraft zurückzufinden.“
Trauma und PTBS, die Posttraumatische Belastungsstörung
Ein psychisches Trauma ist eine starke psychische Verletzung, die durch ein traumatisierendes Ereignis mit Todesangst (um sich oder andere) und Gefühlen tiefster Hilflosigkeit hervorgerufen wird.
Was passiert nun in Situationen, in denen sich der Körper mit einer sogenannten extremen Stressantwort schützt? Das Gehirn nimmt nur noch überlebenswichtige Hinweise wahr, die jedoch zeitlich, räumlich und inhaltlich unterbrochen sind; also Fragmente. Sinneswahrnehmungen (sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen) können nicht mehr autobiografisch eingeordnet werden, es kommt i.d.R. immer zu Erinnerungslücken. Geruch- oder Geräusche, die oft nur unbewusst parallel zum traumatischen Ereignis wahrgenommen wurden, können einen extremen Reiz ausüben (triggern) und sogar zu Wutausbrüchen, sich wie gelähmt fühlen, zu Flashbacks führen etc., also den damaligen Traumafilm im Hier und jetzt ablaufen lassen.
Für Kinder kann es ein Ereignis sein, das sich für einen Erwachsenen nicht dramatisch anfühlt. Wer hat nicht schon mal gesagt oder gehört: „War doch nicht so schlimm“. Aber je nachdem wie jung ein Kind ist, hat es mehr oder weniger Erfahrungen gesammelt, die Sicherheit geben. Es fühlt sich vielen Situationen hilflos ausgeliefert (wenn kein fürsorglicher Mensch da ist oder war), hat Todesangst obwohl es „nicht wirklich“ in Lebensgefahr ist.
Sind die belastenden Erinnerungen und Gefühle, Bilder usw. für den Betroffenen nach 4 bis 6 Wochen weiterhin überwältigend und nicht steuerbar, handelt es sich um die sogenannte Posttraumatische Belastungsstörung. Sie kann zeitlich aber auch deutlich verzögert (nach Jahren) auftreten. Die PTBS (umgangssprachlich Trauma genannt) ist lt. Levine keine Krankheit, sondern eine nicht aufgelöste hohe Aktivierung im Nervensystem und eine normale Reaktion auf eine völlig unnormale lebensbedrohliche Situation, die plötzlich eintrat und ausweglos war.
So reagiert der Körper
Durch Adrenalin- und Cortisol-Ausstoß kommt es zu schneller Atmung, erhöhtem Puls und Blutdruck. Diese Stresshormone bewirken Stoffwechselvorgänge wie Fettabbau und Freisetzung von Glucose/Zucker. Diese so zur Verfügung gestellte Energie ermöglicht blitzschnelle Körperreaktionen.
Biologisch angelegten Abwehrreaktionen bei Gefahr sind die „fff“: fight, flight or freeze; also Kampf, Flucht oder Erstarrung (hier im Sinne von erhöhter Aufmerksamkeit bei Bewegungslosigkeit). Kommt es zur Kampf- oder Fluchtreaktion, wird die zur Verfügung gestellte Schock-Energie sofort abgebaut. Ist das nicht möglich, weil der Mensch noch zu jung war (Kindheit) oder in einer völlig aussichtslosen Situation und größter Angst, nutzt der Organismus die letzte Überlebensmöglichkeit und es kommt zur Lähmung/Schockstarre (auch Zusammenbruch, Erschlaffung). Hält die Immobilität an, bleibt die hohe Aktivierung im Nervensystem bestehen und die Fähigkeit des Körpers zur Selbstregulation wird gestört.
Verharren in traumatischer Schockstarre
In der Schockstarre treffen die für Kampf-Flucht mobilisierte ‚eingefrorene’ Überlebensenergie (nicht abgebaute Energie) und Immobilität (Erstarrung bzw. Erschlaffung) im Körper zusammen. Ein Gefühl wie angezogene Bremse mit gleichzeitig durchgetretenem Gaspedal – für Betroffene oft unerträglich!
Wurde der natürliche Ablauf der Stressreaktion nicht beendet (anders als bei Wildtieren), kann der Körper mit Symptomen wie z.B. Angst, Wutausbrüchen, Übererregung, Konzentrationsproblemen, Erschöpfung und daraufhin mit psychosomatischen Erkrankungen reagieren.
Im Tierreich wurde folgender Ablauf beobachtet. Beispiel: Eine Gazellen auf der Flucht vor einer Raubkatze. Sie wird nach dem Zusammenbruch im vollen Lauf (Erstarrungsreaktion) vom z.B. dem Geparden nicht gerissen (da sie sich nicht mehr bewegt. Aas mag ein Beutegreifer meist nicht). Ist der Gepard fort, zuckt der Körper der Gazelle und die Beine machen Laufbewegungen = die Überlebensenergie wird abreagiert und bleibt nicht im Organismus eingefroren.
Menschen empfinden die Verarbeitungsreaktionen auf einen Schock, wie Zittern, Schütteln oder Beben als unangenehm und sogar angsteinflößend. Diese Abreaktionen zuzulassen, sich „nicht im Griff haben“ wird als Kontrollverlust über den eigenen Körper angesehen. Man reißt sich zusammen oder nimmt vielleicht Beruhigungsmittel.
Wie sagt Levine deshalb: Weck den Tiger in Dir!
Die Arbeit mit Somatic Experiencing
Für Dr. Peter Levine ist ein Trauma vorrangig eine körperliche Reaktion auf ein belastendes Ereignis. Man sagt ja auch bei uns: „Der Schock ist mir in die Glieder gefahren“. Der Körper verharrt in der Schockstarre, weil ihm die Möglichkeiten fehlen, den biologisch notwendigen Ablauf zum Abschluss zu bringen.
Durch Beobachtung des Körpers, d.h. kleinster Bewegungen und Reaktionen, wird mit dem Patienten nachgespürt, ob es einen körperlichen Impuls es gab, um der lebensbedrohlichen Situation zu entkommen. Der Impuls wird aufgenommen oder entwickelt und mithilfe von Bildern (möglichst spontanen eigenen Bildern des Patienten) Möglichkeiten der Kraft zur Verteidigung geweckt, die in der traumatischen Situation damals nicht zur Verfügung stand. Es kommt zu neuen körperlichen Erfahrungen und führt aus der Ohnmacht in die Handlungsfähigkeit. Somatic Experiencing ermöglicht, den unterbrochenen körperlichen Prozess zum Abschluss zu bringen. Dadurch wird die Selbstregulation des Nervensystems verbessert und damit der natürliche Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung.
Nun wird oft streng entgegnet, dass es nichts bringen kann, sich nur vorzustellen, wie man der Situation entkommen sei. Man habe sich nicht gewehrt, man sei doch nicht erfolgreich entkommen. Und doch wissen wir alle, dass einem allein die Vorstellung unseres Lieblingsgerichts das Wasser im Mund zusammen laufen läßt, obwohl es nicht wirklich vor uns steht. Aber der Körper reagiert und wir bekommen ein wohliges Gefühl! Soviel zur Kraft der Gedanken!
Wichtig ist also nicht zu vergessen, dass die Schockstarre eine der biologischen Körperstrategien ist, die zum Überleben nötig sein kann und kein Fehlverhalten ist. Es geht oft einfach nicht, gegen einen übermächtigen Gegner zu kämpfen oder vor ihm fliehen zu wollen (egal ob anderer Mensch, Unfall, Naturgewalt usw.). Das passive Verhalten erhöhte die Chance zu überleben. Oder wir wurden von einem Ereignis so überrascht, dass rechtzeitiges Handeln oder überhaupt handeln können nicht mehr möglich war.
Kombinationen mit anderen Therapiearten
Natürlich kann je nach Reaktion in der Arbeit mit einem traumatisierten Menschen auch eine andere unterstützende Therapieform zum Einsatz kommen. Ich wende im fließenden Wechsel sehr gerne ‚PITT‘, die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie von Frau Prof. Reddemann an in Verbindung mit Ego-State-Therapie. Zur Reduzierung von Angstgefühlen kommt das recht beliebte Klopfen (aus den Therapieformen EFT/ Craig oder PEP/Dr. Bohne) zum Einsatz, bei dem sich die Patienten handlungsfähig und selbstwirksam fühlen.
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Andrea-C. Grittner
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